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Archiv der Kategorie: Ideen

Are we a Pirate Pachydermocracy? – Sind wir Piraten eine Dickhäuter-kratie?

Ein PirateTimes – Artikel von Andrew Reitemeyer.

(Übersetzung ins Deutsche, ursprünglicher Text in englischer Sprache unter http://piratetimes.net/are-we-a-pachydermocracy/)

Where's my elephant gun?
von Jim Crossley (https://secure.flickr.com/photos/raindog/140950311/) [CC-BY-NC-SA-2.0], via Flickr

In der „rauen und unsicheren“ Welt der Politik wird oft gesagt, dass man eine dicke Haut haben muss, um Politiker zu sein. Das bedeutet, dass – egal unter welcher Art von repräsentativer Regierung du lebst – du von Menschen regiert wirst, die eine dicke Haut haben.

 

Es gibt einen Begriff dafür, Dickhäuter: bezeichnend jede Art von verschiedenen dick-häutigen Säugetieren mit Hufen, wie der Elefant oder das Flusspferd. In Erweiterung dessen, ist eine Dickhäuter-kratie¹ die Herrschaft durch Menschen, die willens und fähig sind, mit den fairen und noch öfter unfairen Attacken aus Öffentlichkeit, Medien und von anderen Politikern umzugehen. Das wird in den meisten Parlamenten als etwas Gutes betrachtet, besonders jenen, die auf dem Westminster-System basieren, wo Schimpfworte, Beleidigungen und sogar offenes Mobbing als normale Vorgehensweise angesehen werden.

Ein Nebeneffekt ist, dass oft die fähigsten und talentiertesten Menschen von politischer Macht ausgeschlossen oder hinausgedrängt werden, weil sie nicht die „richtige“ Persönlichkeit haben; sie sind keine Dickhäuter. Diese Ungerechtigkeit ist typisch für die meisten politischen Organisationen, aber das sollte sie nicht in der Piratenpartei sein. Wir wollen die Welt verändern. Viele von uns streben höhere Bürgebeteiligung an, auch mit Hilfe von direkter Demokratie durch Online-Systeme wie Liquid Democracy. Damit das möglich wird, müssen wir Veränderungen im politischen Diskurs erreichen. Allerdings werden wir das schwerlich erreichen, wenn wir uns genauso aufführen wie alle anderen Parteien.

Viele nutzen das recht auf Redefreiheit als Ausrede, um ihre Mit-Piraten persönlich anzugreifen, zu trollen und zu mobben, im Versuch ihnen ihre eigene Ideologie aufzuzwingen. Die traurige Wahrheit ist, dass das oft funktioniert, indem sie ihre Opfer an den Rand oder gleich ganz aus der Partei drängen. So sollte eine Demokratie nicht funktionieren. Alle Piraten haben das Recht zu sprechen, aber nicht das Recht, dieses Privileg zu missbrauchen.

Es sind nicht nur Piraten, die destruktive Taktiken nutzen werden. Staatliche und private Nachrichtendienste, wie Stratfor und Total Intelligence Solutions können und werden Organisationen sabotieren, die sie als Bedrohungen ansehen. Dies wurde berichtet von dem Think-Tank „Center for Corporate Policy“ in dem Bericht aus dem Jahr 2013 „Spooky Business: Corporate Espionage Against Nonprofit Organizations“ (Gruseliges Geschäft: Unternehmensspionage gegen Non-Profit-Organisationen). Es wäre nicht überraschend zu erfahren, dass solcherlei Infiltration gegen uns eingesetzt wird.

Um uns vor uns selbst und anderen zu schützen, müssen wir sehr darauf achten, wie wir uns verhalten und wie wir uns von anderen beeinflussen lassen. Es gibt zwei interessante Bespiele, die wir uns ansehen können: die Piraten des 17. Jahrhunderts und die internationale Diplomatie.

  • In den Piratenkodizes, die Piraten nutzten, um sich selbst zu regieren, war der Kampf zwischen Piraten an Bord des Schiffes verboten. Wenn es Meinungsverschiedenheiten beizulegen galt, wurde das an Land getan. Offiziere wurden gewählt und solange sie die Macht innehatten, hatten sie die Unterstützung der Mannschaft. Die Ziele der Piraten wurden gegenseitig akzeptiert. Die Führung erleichterte das Erreichen dieser Ziele.
  • Durch das Fehlen einer übergeordneten Autorität, werden internationale Beziehungen im gegenseitigen Einvernehmen geführt. Ohne allseits akzeptierte Regeln, würde Diplomatie überhaupt nicht funktionieren. Die internationale Diplomatie mag nicht perfekt sein, aber sie funktioniert und das in einem Zusatnd der Anarchie.

In beiden Bereichen ist Selbstdisziplin unabdingbar für harmonische Kooperation und erfolgreiche Ergebnisse. Wir müssen persönliche Verantwortung dafür übernehmen, wie wir einander behandeln.

Was können wir tun, um sicherzustellen, dass unser Umgang miteinander produktiv und nicht destruktiv ist?

  • Wir müssen lernen, Prinzipien und politische Ansichten auf starke, logische und überzeugende Weise zu verteidigen, ohne unsere Mit-Piraten direkt anzugreifen.
  • Wir müssen lernen, wie wir piratige Grundsätze und Höflichkeit zum Kern all unseren Umgangs miteinander machen.
  • Wir müssen uns selbst demokratisch Ziele setzen und – wenn sie gesetzt wurden – zusammenarbeiten um diese Ziele als eine Einheit zu erreichen.

Allerdings brauchen wir immer noch Dickhäuter. Wir wollen Kandidaten in den Wahlkampf schicken, wo unsere politischen Gegner mehr als bereit sind, jede wahrnehmbare Schwäche zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sie werden sehr viel Scheiße hinnehmen müssen, während sie in den Wahlkämpfen und den Kammern der Parlamente für die Politik der Piraten kämpfen. Aber wir wollen, dass jeder Pirat seinen Teil zur Partei beitragen kann, ohne sich gegen überflüssige Angriffe aus der Partei selbst verteidigen zu müssen.

In diesem ersten einer Serie von Artikeln, wird die PirateTimes euch eine Reihe von Grundlagen und Werkzeugen aufzeigen; diese werden euch und euren Parteien helfen, Wege zu entwickeln, um in euren Foren den Anstand zu wahren und eure Versammlungen Dinge reibungslos erledigen zu lassen.

Originaltext in englischer Sprache von Andrew Reitemeyer (http://piratetimes.net/are-we-a-pachydermocracy/) [CC-BY-2.0], via PirateTimes

 

¹ Das englische Wortspiel „Pachydermocracy“ aus „pachyderm“ (Dickhäuter) und „democracy“ (Demokratie) hat die Übersetzung leider nicht überlebt.

 

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Wirtschaft für den Menschen oder Menschen für die Wirtschaft?

Ist die Wirtschaft für den Menschen da oder der Mensch für die Wirtschaft? Diese Frage stellt sich heute offenbar immer drängender, in einer Zeit der Finanz- und Wirtschaftskrisen, in der eine von den Bedürfnissen der Menschen losgelöste und zunehmend unverständlichere Wirtschaft Amok läuft, in der Interessen von Wenigen auf Kosten der Gesellschaft durchgesetzt werden und die Regeln „des Marktes“ beinahe schon als unumstößliche Naturgesetze erscheinen, in deren Auswüchsen auch die Politiker demokratischer Staaten schon lange keine Handlungsspielräume mehr sehen und bestenfalls noch reagieren können.

Wirtschaft als Werkzeug

Doch ist es ein fataler Irrtum zu glauben, die Regeln der Wirtschaft seien unveränderlich und ein noch fatalerer Fehler sich als Mensch von „der Wirtschaft“ gängeln, herumschubsen und vorschreiben zu lassen, was man zu tun und zu lassen habe: Denn die Wirtschaft und der Markt haben keineswegs irgendetwas mit Naturgesetzen gemein; vielmehr sind sie – im weitesten Sinne – Werkzeuge, geschaffen von und vor allen Dingen für Menschen.

Zugegeben ist ihre Funktion als Werkzeuge etwas abstrakter als beispielsweise die eines Akkuschraubers oder einer Kettensäge. Doch auch sie dienen einem bestimmten Zweck, beziehungsweise aufgrund ihrer hohen Komplexität auch mehreren – beispielsweise ermöglichen sie uns den Austausch von Waren und Arbeits- bzw. Dienstleistungen in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft. Dadurch sollen sie uns Arbeit abnehmen (oder zumindest helfen sie besser zu verteilen) und uns das Leben erleichtern.

Wie jedes andere Werkzeug und jede Technologie haben natürlich auch sie ihren Preis und verlangen uns gewisse Handlungen und Aufwendungen ab, um sie funktionstüchtig zu halten – so wie ein Akkuschrauber regelmäßig aufgeladen und eine Kettensäge geölt werden muss. Das ist unumgänglich. Doch die Art und Weise sowie das Ausmaß dieser Aufwendungen können und müssen wir beeinflussen, indem wir entscheiden, wie wir unsere Wirtschaft gestalten – also wie unser Werkzeug aufgebaut und designt ist; so dass die Art, wie unser Werkzeug beschaffen ist, sich der Art anpasst, wie wir leben möchten und nicht wir uns dem Werkzeug unterwerfen. Dabei sollten wir immer im Hinterkopf behalten: Verlangt uns ein Werkzeug mehr Aufwendungen ab, als es uns Nutzen verschafft, hat es seinen Sinn als Werkzeug verloren.

An diesem Punkt scheint unsere Wirtschaft – zumindest für die Mehrheit der Gesellschaft – momentan zu sein. Es gibt zwar noch Profiteure unserer derzeitigen Wirtschaftsordnung (und diese profitieren sogar in einem Maß von ihr, das jeden vernünftigen Rahmen sprengt), doch die große Masse aller Menschen gehört nicht dazu. Stattdessen rackern sie sich ab, um die Aufwendungen für ein Werkzeug zu erbringen, das längst anderen dient und erhalten dafür eine Gegenleistung, die den Namen nicht verdient.

Wie aber sollte unsere Wirtschaftsordnung nun beschaffen sein, damit sie wieder zu jenem unserem nützlichen Werkzeug wird, von dem wir alle wollten, dass sie es wäre? Der geneigte Leser, der bis hierhin ausgehalten hat, wird sich wohl bereits denken, dass mir dazu bereits eine grobe Idee vorschwebt und so soll sie auch nicht verborgen bleiben:

Was nicht funktioniert hat

Das Werkzeug namens Wirtschaft komplett abzuschaffen, steht wohl nicht zur Diskussion – zwar könnten wir es natürlich, doch hängt unsere Zivilisation in zu hohem Maß davon ab. Nach allgemeiner Auffassung konkurrieren zwei mögliche Wirtschaftsordnungen miteinander, die in unterschiedlichen Abstufungen existieren (oder existiert haben) und als einander gegenüber stehend betrachtet werden: Der Kapitalismus bzw. die freie Markwirtschaft und der Kommunismus bzw. Sozialismus:

Grob vereinfacht vetritt der Kapitalismus das Konzept des freien Unternehmertums, d.h. private Unternehmer halten – je nach ihrem verfügbaren Kapital und kaufmännischen Geschick – das Eigentum an den Produktionsmitteln bzw. Unternehmen, wobei grundsätzlich jedermann Unternehmer sein kann und darf; es de facto aber nur wenige Menschen tatsächlich sind. Die Festlegung von Preisen und Produktion erfolgt durch Wettbewerb der Unternehmen an einem (mehr oder weniger) freien Markt.

Der Kommunismus dagegen vertritt das Konzept des gemeinschaftlichen bzw. Volks-Eigentums an den Priduktionsmitteln bzw. Unternehmen. Da da Volk als eigene Entität – da bestehend aus Tausenden bis hin zu Milliarden von Menschen – wenig handlungsfähig ist, wird es zu diesem Zweck de facto meist repräsentiert durch den Staat, der (mehr oder weniger) als Vertreter des Volkes agiert. Die Unternehmen sind also meist verstaatlicht und die Preisentwicklung und Produktion zentral gesteuert.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion herrscht allgemein die Ansicht vor, der Kapitalismus habe über den Kommunismus triumphiert und sich als das bessere Wirtschaftssystem herausgestellt. Angesichts der derzeitigen enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Missstände darf das allerdings gelinde gesagt bezweifelt werden – was nicht bedeutet, dass der Kommunismus die bessere Wahl wäre. Vielmehr funktionieren beide Systeme nicht und das aus ein und dem selben Grund:

Warum es nicht funktioniert hat

Beide Wirtschaftsordnungen sind für den Zweck, den sie erfüllen sollen, zu zentralistisch. Die grundlegenden Machtpositionen beider Wirtschaftsordnungen – bedingt durch das Eigentum an den Produktionsmitteln bzw. den Unternehmen – haben in großer Masse nicht diejenigen inne, deren Werkzeug die Wirtschaft eigentlich sein soll: Diejenigen Menschen, die produzieren und diejenigen, für die produziert wird.

Im Kapitalismus liegt dieses Eigentum in der Masse bei einigen wenigen Unternehmern, die ihre Unternehmen und damit letztendlich auch die Wirtschaft als Werkzeug zur Mehrung ihres perönlichen Profites anstatt zur Erfüllung der Bedürfnisse und Interessen der Gesellschaft nutzen. Im Kommunismus liegt dieses Eigentum de facto in der Hand einiger weniger Politiker, die im Grunde dasselbe tun. Der Vollständigkeit halber zu erwähnen sei hier noch das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, bei der die wirtschaftlichen Machtpositionen möglichst gleichmäßig zwischen Staat/Politikern und Unternehmern aufgeteilt werden sollen, indem beide Seiten für die jeweils andere als Korrektiv wirken – doch auch diese Variante ist leider nicht weniger zentralistisch und stellt letztlich nur einen Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus dar, aber keine grundlegend neue Wirtschaftsordnung.

Eine neue Wirtschaftsordnung

Was wir folglich brauchen, damit die Wirtschaft als Werkzeug wieder der gesamten Gesellschaft dient und nicht einigen wenigen Machthabern in herausgehobener Position, ist eine dezentralisierte Wirtschaftsordnung, in der das Eigentum an den Produktionsmitteln und Unternehmen den Menschen gehört. Denn selbst wenn man den Machthabern einer kapitalistischen oder kommunistischen Wirtschaftsordnung unterstellt, sie hätten nur das beste Interesse der Gesamtgesellschaft und nicht nur ihr eigenes Interesse im Sinn – was wohl jeder normalen Lebenserfahrung widerspricht – so könnten diese Machthaber gar nicht bis ins kleinste Detail wissen, was im Interesse der Gesellschaft liegt und können auf wechselnde Erfordernisse in bestimmten Regionen, Branchen oder Betrieben nur sehr langsam reagieren. So wurde eben auch dem Kommunismus mit seinen 1-, 10- und 50-Jahres-Plänen immer vorgeworfen zu unflexibel zu sein. So unflexibel ist aber jede Wirtschaftsordnung, bei der die Entscheidenden zu weit entfernt von denjenigen sind, über die entschieden wird; so auch der Kapitalismus mit seinen großen, hierarchischen multinationalen Konzernen.

Wir brauchen also eine Wirtschaftsordnung bei der das Eigentum und damit auch die Entscheidungsgewalt über Produktion und Unternehmen bei den Menschen liegt, die von den Entscheidungen betroffen sind: Bei den Kunden und Mitarbeitern des Unternehmens. Wobei dem Grundsatz gefolgt werden sollte: So dezentral wie möglich, so zentralistisch wie nötig. Unternehmen sollten nach diesem Ansatz nach Möglichkeit auch gar nicht wachsen oder expandieren, sondern in ihrem ursprünglichen, bekannten, regionalen Umfeld tätig sein. Auch viele Politiker heutiger kapitalistischer Staaten sehen die Vorteile einer dezentralisierten Wirtschaft bereits, ziehen jedoch noch nicht die richtigen Schlüsse daraus: Nicht umsonst werden allenthalben kleine und mittelständische Unternehmen und Familienbetriebe als Rückgrat der Wirtschaft gepriesen. Auch hier liegt die Entscheidungsgewalt nicht zwingend bei den betroffenen, aber die Unternehmer sind zumindest meist in ihrem „Absatzmarkt“ zu Hause und kennen die Interessen ihrer Kunden und Mitarbeiter, die oft auch ihre Freunde und Nachbarn sind, noch aus eigener Erfahrung. So wirkt hier noch stärker ein gesellschaftliches Verantwortungsgefühl, das schlicht aus der Nähe zu den Menschen resultiert, für die und mit denen man produziert. Auch hier kann man natürlich noch besser werden.

Was jetzt zu tun ist

Unser derzeitiges Rechtssystem bietet auch bereits Ansätze um eine solche dezentralisierte – und nebenbei auch viel demokratischere – Wirtschaft zu ermöglichen, beispielsweise das Konzept der Genossenschaften, in denen je nach Ausrichtung prinzipiell jeder Kunde und Mitarbeiter Genosse werden und über die Geschicke des Unternehmens mitbestimmen kann. Ihrer Natur gemäß kann eine solche dezentralistische Wirtschaftsordnung natürlich nicht zentral – beispielweise staatlich – verordnet werden. Hier kann höchstens gefördert und Vereinfachungen und Anreize geboten werden. Auf die Politiker können und sollten wir hier nicht bauen:

Es liegt an uns, an jedem einzelnen Menschen, sich mit anderen zusammen zu tun und in unserem ganz persönlichen Umfeld und Lebensbereich mitzuentscheiden und zu -bestimmen, was für uns das richtige ist, so dass auf lange Sicht auch die gesamte Gesellschaft die Wirtschaft hat, die sie verdient und braucht. Damit die Wirtschaft wieder den Menschen dient und nicht umgekehrt. Es wird ein Mehr an Verantwortung, aber auch ein großes Mehr an Selbstbestimmung, Wohlstand und Freiheit auf uns zu kommen, wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen.

Machen wir uns auf den Weg.

 

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