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Archiv der Kategorie: Wirtschaft

Wirtschaft für den Menschen oder Menschen für die Wirtschaft?

Ist die Wirtschaft für den Menschen da oder der Mensch für die Wirtschaft? Diese Frage stellt sich heute offenbar immer drängender, in einer Zeit der Finanz- und Wirtschaftskrisen, in der eine von den Bedürfnissen der Menschen losgelöste und zunehmend unverständlichere Wirtschaft Amok läuft, in der Interessen von Wenigen auf Kosten der Gesellschaft durchgesetzt werden und die Regeln „des Marktes“ beinahe schon als unumstößliche Naturgesetze erscheinen, in deren Auswüchsen auch die Politiker demokratischer Staaten schon lange keine Handlungsspielräume mehr sehen und bestenfalls noch reagieren können.

Wirtschaft als Werkzeug

Doch ist es ein fataler Irrtum zu glauben, die Regeln der Wirtschaft seien unveränderlich und ein noch fatalerer Fehler sich als Mensch von „der Wirtschaft“ gängeln, herumschubsen und vorschreiben zu lassen, was man zu tun und zu lassen habe: Denn die Wirtschaft und der Markt haben keineswegs irgendetwas mit Naturgesetzen gemein; vielmehr sind sie – im weitesten Sinne – Werkzeuge, geschaffen von und vor allen Dingen für Menschen.

Zugegeben ist ihre Funktion als Werkzeuge etwas abstrakter als beispielsweise die eines Akkuschraubers oder einer Kettensäge. Doch auch sie dienen einem bestimmten Zweck, beziehungsweise aufgrund ihrer hohen Komplexität auch mehreren – beispielsweise ermöglichen sie uns den Austausch von Waren und Arbeits- bzw. Dienstleistungen in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft. Dadurch sollen sie uns Arbeit abnehmen (oder zumindest helfen sie besser zu verteilen) und uns das Leben erleichtern.

Wie jedes andere Werkzeug und jede Technologie haben natürlich auch sie ihren Preis und verlangen uns gewisse Handlungen und Aufwendungen ab, um sie funktionstüchtig zu halten – so wie ein Akkuschrauber regelmäßig aufgeladen und eine Kettensäge geölt werden muss. Das ist unumgänglich. Doch die Art und Weise sowie das Ausmaß dieser Aufwendungen können und müssen wir beeinflussen, indem wir entscheiden, wie wir unsere Wirtschaft gestalten – also wie unser Werkzeug aufgebaut und designt ist; so dass die Art, wie unser Werkzeug beschaffen ist, sich der Art anpasst, wie wir leben möchten und nicht wir uns dem Werkzeug unterwerfen. Dabei sollten wir immer im Hinterkopf behalten: Verlangt uns ein Werkzeug mehr Aufwendungen ab, als es uns Nutzen verschafft, hat es seinen Sinn als Werkzeug verloren.

An diesem Punkt scheint unsere Wirtschaft – zumindest für die Mehrheit der Gesellschaft – momentan zu sein. Es gibt zwar noch Profiteure unserer derzeitigen Wirtschaftsordnung (und diese profitieren sogar in einem Maß von ihr, das jeden vernünftigen Rahmen sprengt), doch die große Masse aller Menschen gehört nicht dazu. Stattdessen rackern sie sich ab, um die Aufwendungen für ein Werkzeug zu erbringen, das längst anderen dient und erhalten dafür eine Gegenleistung, die den Namen nicht verdient.

Wie aber sollte unsere Wirtschaftsordnung nun beschaffen sein, damit sie wieder zu jenem unserem nützlichen Werkzeug wird, von dem wir alle wollten, dass sie es wäre? Der geneigte Leser, der bis hierhin ausgehalten hat, wird sich wohl bereits denken, dass mir dazu bereits eine grobe Idee vorschwebt und so soll sie auch nicht verborgen bleiben:

Was nicht funktioniert hat

Das Werkzeug namens Wirtschaft komplett abzuschaffen, steht wohl nicht zur Diskussion – zwar könnten wir es natürlich, doch hängt unsere Zivilisation in zu hohem Maß davon ab. Nach allgemeiner Auffassung konkurrieren zwei mögliche Wirtschaftsordnungen miteinander, die in unterschiedlichen Abstufungen existieren (oder existiert haben) und als einander gegenüber stehend betrachtet werden: Der Kapitalismus bzw. die freie Markwirtschaft und der Kommunismus bzw. Sozialismus:

Grob vereinfacht vetritt der Kapitalismus das Konzept des freien Unternehmertums, d.h. private Unternehmer halten – je nach ihrem verfügbaren Kapital und kaufmännischen Geschick – das Eigentum an den Produktionsmitteln bzw. Unternehmen, wobei grundsätzlich jedermann Unternehmer sein kann und darf; es de facto aber nur wenige Menschen tatsächlich sind. Die Festlegung von Preisen und Produktion erfolgt durch Wettbewerb der Unternehmen an einem (mehr oder weniger) freien Markt.

Der Kommunismus dagegen vertritt das Konzept des gemeinschaftlichen bzw. Volks-Eigentums an den Priduktionsmitteln bzw. Unternehmen. Da da Volk als eigene Entität – da bestehend aus Tausenden bis hin zu Milliarden von Menschen – wenig handlungsfähig ist, wird es zu diesem Zweck de facto meist repräsentiert durch den Staat, der (mehr oder weniger) als Vertreter des Volkes agiert. Die Unternehmen sind also meist verstaatlicht und die Preisentwicklung und Produktion zentral gesteuert.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion herrscht allgemein die Ansicht vor, der Kapitalismus habe über den Kommunismus triumphiert und sich als das bessere Wirtschaftssystem herausgestellt. Angesichts der derzeitigen enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Missstände darf das allerdings gelinde gesagt bezweifelt werden – was nicht bedeutet, dass der Kommunismus die bessere Wahl wäre. Vielmehr funktionieren beide Systeme nicht und das aus ein und dem selben Grund:

Warum es nicht funktioniert hat

Beide Wirtschaftsordnungen sind für den Zweck, den sie erfüllen sollen, zu zentralistisch. Die grundlegenden Machtpositionen beider Wirtschaftsordnungen – bedingt durch das Eigentum an den Produktionsmitteln bzw. den Unternehmen – haben in großer Masse nicht diejenigen inne, deren Werkzeug die Wirtschaft eigentlich sein soll: Diejenigen Menschen, die produzieren und diejenigen, für die produziert wird.

Im Kapitalismus liegt dieses Eigentum in der Masse bei einigen wenigen Unternehmern, die ihre Unternehmen und damit letztendlich auch die Wirtschaft als Werkzeug zur Mehrung ihres perönlichen Profites anstatt zur Erfüllung der Bedürfnisse und Interessen der Gesellschaft nutzen. Im Kommunismus liegt dieses Eigentum de facto in der Hand einiger weniger Politiker, die im Grunde dasselbe tun. Der Vollständigkeit halber zu erwähnen sei hier noch das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, bei der die wirtschaftlichen Machtpositionen möglichst gleichmäßig zwischen Staat/Politikern und Unternehmern aufgeteilt werden sollen, indem beide Seiten für die jeweils andere als Korrektiv wirken – doch auch diese Variante ist leider nicht weniger zentralistisch und stellt letztlich nur einen Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus dar, aber keine grundlegend neue Wirtschaftsordnung.

Eine neue Wirtschaftsordnung

Was wir folglich brauchen, damit die Wirtschaft als Werkzeug wieder der gesamten Gesellschaft dient und nicht einigen wenigen Machthabern in herausgehobener Position, ist eine dezentralisierte Wirtschaftsordnung, in der das Eigentum an den Produktionsmitteln und Unternehmen den Menschen gehört. Denn selbst wenn man den Machthabern einer kapitalistischen oder kommunistischen Wirtschaftsordnung unterstellt, sie hätten nur das beste Interesse der Gesamtgesellschaft und nicht nur ihr eigenes Interesse im Sinn – was wohl jeder normalen Lebenserfahrung widerspricht – so könnten diese Machthaber gar nicht bis ins kleinste Detail wissen, was im Interesse der Gesellschaft liegt und können auf wechselnde Erfordernisse in bestimmten Regionen, Branchen oder Betrieben nur sehr langsam reagieren. So wurde eben auch dem Kommunismus mit seinen 1-, 10- und 50-Jahres-Plänen immer vorgeworfen zu unflexibel zu sein. So unflexibel ist aber jede Wirtschaftsordnung, bei der die Entscheidenden zu weit entfernt von denjenigen sind, über die entschieden wird; so auch der Kapitalismus mit seinen großen, hierarchischen multinationalen Konzernen.

Wir brauchen also eine Wirtschaftsordnung bei der das Eigentum und damit auch die Entscheidungsgewalt über Produktion und Unternehmen bei den Menschen liegt, die von den Entscheidungen betroffen sind: Bei den Kunden und Mitarbeitern des Unternehmens. Wobei dem Grundsatz gefolgt werden sollte: So dezentral wie möglich, so zentralistisch wie nötig. Unternehmen sollten nach diesem Ansatz nach Möglichkeit auch gar nicht wachsen oder expandieren, sondern in ihrem ursprünglichen, bekannten, regionalen Umfeld tätig sein. Auch viele Politiker heutiger kapitalistischer Staaten sehen die Vorteile einer dezentralisierten Wirtschaft bereits, ziehen jedoch noch nicht die richtigen Schlüsse daraus: Nicht umsonst werden allenthalben kleine und mittelständische Unternehmen und Familienbetriebe als Rückgrat der Wirtschaft gepriesen. Auch hier liegt die Entscheidungsgewalt nicht zwingend bei den betroffenen, aber die Unternehmer sind zumindest meist in ihrem „Absatzmarkt“ zu Hause und kennen die Interessen ihrer Kunden und Mitarbeiter, die oft auch ihre Freunde und Nachbarn sind, noch aus eigener Erfahrung. So wirkt hier noch stärker ein gesellschaftliches Verantwortungsgefühl, das schlicht aus der Nähe zu den Menschen resultiert, für die und mit denen man produziert. Auch hier kann man natürlich noch besser werden.

Was jetzt zu tun ist

Unser derzeitiges Rechtssystem bietet auch bereits Ansätze um eine solche dezentralisierte – und nebenbei auch viel demokratischere – Wirtschaft zu ermöglichen, beispielsweise das Konzept der Genossenschaften, in denen je nach Ausrichtung prinzipiell jeder Kunde und Mitarbeiter Genosse werden und über die Geschicke des Unternehmens mitbestimmen kann. Ihrer Natur gemäß kann eine solche dezentralistische Wirtschaftsordnung natürlich nicht zentral – beispielweise staatlich – verordnet werden. Hier kann höchstens gefördert und Vereinfachungen und Anreize geboten werden. Auf die Politiker können und sollten wir hier nicht bauen:

Es liegt an uns, an jedem einzelnen Menschen, sich mit anderen zusammen zu tun und in unserem ganz persönlichen Umfeld und Lebensbereich mitzuentscheiden und zu -bestimmen, was für uns das richtige ist, so dass auf lange Sicht auch die gesamte Gesellschaft die Wirtschaft hat, die sie verdient und braucht. Damit die Wirtschaft wieder den Menschen dient und nicht umgekehrt. Es wird ein Mehr an Verantwortung, aber auch ein großes Mehr an Selbstbestimmung, Wohlstand und Freiheit auf uns zu kommen, wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen.

Machen wir uns auf den Weg.

 

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Die Chronik des Neo- bzw. Wirtschaftsliberalismus

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von Rikki’s Refuge (http://www.flickr.com/photos/rikkis_refuge/5271431852/) [CC-BY-2.0], via flickr

Ich glaube aufrichtig, […] dass Bankanstalten gefährlicher sind als stehende Armeen; und dass das Prinzip, unter dem Namen Finanzierung, Geld auf Kosten der Nachwelt auszugeben, großmaßstäblicher Betrug an der Zukunft ist.

von Thomas Jefferson (https://de.wikiquote.org/wiki/Thomas_Jefferson#Zitate_mit_Quellenangabe), in Memoirs, Correspondence and Private Papers of Thomas Jefferson, Vol. IV, hrsg. v. Thomas Jefferson Randolph, London 1829. S. 288

Auf dieser Seite möchte ich – als Teil der „Chroniken des Untergangs“ – eine Chronik der neo- bzw. wirtschaftsliberalen oder auch marktradikalen Ideologie erstellen.

Tritt […] mit der AfD eine neue liberale Kraft aufs politische Parkett? Nein: Die AfD ist höchstens in Wirtschaftsfragen liberal und pflegt ansonsten ein populistisch-konservatives Weltbild, das vor allem an Ressentiments andockt.

Tags: AfD, FDP, Liberalismus

Um Wirtschaftsflüchtlingen zu helfen, regt der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), die oberste deutsche Asylbehörde, Manfred Schmidt, laut Spiegel-Bericht vom Sonntag eine neue Vorstufe des Asylverfahrens an. Darin solle geprüft werden soll, ob ein Flüchtling als Arbeitsmigrant infrage komme.

Tags: Bamf, Ökonomismus, Wirtschaftsflüchtlinge

Das IFRC (Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung) kritisiert in einem Bericht, der eben veröffentlicht wurde, die Austeritätspolitik in Europa. Obwohl der Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise schon fünf Jahre zurückliegt, würden immer noch Millionen Menschen in die Armut rutschen. Europa sei mit der „schwersten humanitären Krise seit 60 Jahrzehnten“ konfrontiert, sagt IFRC-Generalsekretär Bekele Geleta.

Tags: Armut, EU, Finanzkrise, Hunger, Jugendarbeitslosigkeit, Sparpolitik, Ungleichheit

Jeder kämpft allein um sein Fortkommen – am Markt oder in der „Lernlandschaft“. Zu beidem braucht man die allseits postulierten Kompetenzen, die ja ein von Kultur gereinigtes, wertneutrales Können darstellen, das flexibel einsetzbar ist. Insofern hat der Schwenk in der öffentlichen Diskussion eine beunruhigende Dimension.

Tags: Bertelsmann Stiftung, Bildungspolitik, Bologna, Lobbyismus, OECD, Ökonomismus, PISA, Privatisierung

Der polnische Einwanderer Pietr Piskozub verhungerte in Andalusien, nachdem er vom Krankenhaus ins Obdachlosenasyl abgeschoben wurde

Tags: Hunger, Griechenland, Irland, Obdachlosigkeit, Portugal, Spanien, Sparprogramme

Extremer Leistungsdruck, Niedriglöhne, zwölf Stunden lange Schichten: Nicht nur in Asien, auch in Tschechien soll der Elektronikhersteller Foxconn Arbeiter ausgebeutet haben. Das Unternehmen bestreitet die Vorwürfe.

Tags: Foxconn, Niedriglohnsektor, Tschechien

Die Verhandlungen zwischen der EU und den USA über das geplante Handels- und Investitionsschutzabkommen sollen am Montag fortgesetzt werden. Geplant ist neben einem Abbau von Zöllen vor allem eine Beseitigung sonstiger „Handelshemmnisse“ – dazu gehören etwa Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzvorschriften oder Regulierungen der Finanzmärkte.

Tags: Bertelsmann-Stiftung, EU, Finanzmarktregulierung, Freihandelsabkommen, Niedriglohnsektor, USA

Politik ist ein Geschäft, der Staat sollte wie ein Unternehmen geführt werden. Das sieht zumindest der Milliardär Frank Stronach so, der mit seinem Geld eine oder vielmehr: seine Partei gegründet hat und sich jovial als „Frank“ präsentiert. Die Partei heißt denn auch Team Stronach […]

Tags: Frank Stronach, Nationalratswahl, Österreich, Privatisierung, Team Stronach

Nach dem britischen Regierungschef Cameron müssen Steuern gesenkt, der Sozialstaat beschnitten und junge Menschen zur Arbeit oder Ausbildung durch Geldentzug gezwungen werden

Tags: Arbeitszwang, David Cameron, Deregulierung, Earning or Learning, Großbritannien, Jugendarbeitslosigkeit, Margaret Thatcher, Privatisierung, Sozialabbau, Sozialstaat, Sparen, Steuern, Tories, Ungleichheit

Dass die Erholung am Arbeitsmarkt nicht nachhaltig war, hatte sich schon im August gezeigt, als offiziell 31 (!) Personen einen Job gefunden haben sollen. Tatsächlich war die Arbeitslosigkeit gestiegen. Die Sozialversicherung hat fast 100.000 Beitragszahler verloren. Angesichts der ungenauen Daten des Arbeitsministeriums werden mit Spannung genauere Daten der Statistikbehörde (INE) erwartet, die alle drei Monate kommen.

Tags: Arbeitslosigkeit, Generalstreik, Sozialversicherung, Spanien, Rente

Der jetzige Konflikt um den US-Haushalt hat seinen Hintergrund im gnadenlosen Kampf der US-Aktiengesellschaften gegen Unternehmens- und Vermögenssteuern. Kurz nach der Finanzkrise unterzeichneten US-Notenbank Chef Ben Bernanke, die damalige demokratische Oppositionsführerin Nancy Pelosi und Bushs eigener Finanzminister Henry Paulson ein Schreiben an den damaligen noch US-Präsidenten George W. Bush […] Sie fürchteten, Bush könnte auf dem kurz bevorstehenden G-20 Gipfel neuen internationalen Bilanzierungs- und damit Besteuerungsrichtlinien für Unternehmen zustimmen.

Tags: Ben Bernanke, FASB, Finanzkrise, G-20, George W. Bush, Henry Paulson, Nancy Pelosi, Privatisierung, Unternehmenssteuern, USA

Die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl könnte sich lange hinziehen. Für den Freitag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ein erstes Sondierungsgespräch mit der SPD vereinbart, am Montag folgt ein ähnliches Treffen mit den Grünen – Ausgang ungewiss. Der Entwurf eines künftigen Reformpakets liegt trotzdem schon vor. Es trägt den Titel „Chance 2020 – Mit sozialer Marktwirtschaft für ein gerechtes und leistungsfähiges Deutschland“ und stammt von der Initiative Neue Soziale Martkwirtschaft (INSM).

Tags: Agenda 2010, Angela Merkel, Bundestagswahl, CDU, Chance 2020, Gerhard Schröder, Grüne, Hubertus Pellengahr, INSM, Krankenversicherung, Koalitionsverhandlung, Mindestlohn, Pflegeversicherung, Reform, Rente, Sozialabbau, Sozialstaat, Sozialversicherungen, SPD, Steuern, Umverteilung, Wahlversprechen, Wolfgang Clement

Altersarmut droht nicht nur mehr Menschen in Deutschland, nach Rui Yao, Professorin für persönliche Finanzplanung an der University of Missouri, werden künftig auch viele Menschen in den USA nach der Finanzkrise mit diesem Problem konfrontiert. In der Zeitschrift Forbes wurde bereits von der „größten Rentenkrise in der amerikanischen Geschichte gesprochen.

Tags: Finanzkrise, Niedriglohnsektor, Rente, Sozialstaat, USA

 
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Verfasst von - 3. Oktober 2013 in Politisches, Wirtschaft

 

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Überwachungsstaat oder Demokratie?

In diesen Wochen erlebe ich ein tägliches Trommelfeuer an Nachrichten, die ein grausiges Gesamtbild zeichnen: Die westlichen Demokratien sind längst so schwach, dass sie gefährlich weit auf dem Weg in eine Zukunft von Überwachungsstaaten vorangeschritten sind. Die täglichen Nachrichten sind so schockierend, dass ich inzwischen aus dem Entsetzen nicht mehr herauskomme. Nicht nur speichert der Staat, mit wem wir wann und wie oft Kontakt hatten. Geheimdienste hören jedermanns Kommunikation ab. Seit den Enthüllungen von Edward Snowden ist der Welt klar, dass niemandens Privatsphäre respektiert wird. Was der deutsche Geheimdienst nicht darf, tut der britische oder amerikanische und gibt dann die ausgespähten Daten an den deutschen weiter. Und umgekehrt. Unsere Privatsphäre wurde uns genommen, ohne uns zu fragen. Im Juni hat Edward Snowden seinen Mut gefasst, um uns das zu sagen. Dafür nahm er sichere persönliche Verfolgung in Kauf. Bis heute kann er sich seiner Zukunft nicht sicher sein. Noch lange wird er seine Familie in Freiheit nicht wiedersehen können. Sogar Journalisten wie Glenn Greenwald, die von diesen Enthüllungen berichteten, wurden mit allen Mitteln der Staatsgewalt verfolgt. Selbst vor dessen Ehemann hat man nicht Halt gemacht. David Miranda, der damit nichts zu tun hatte, wurde am Londoner Flughafen für neun Stunden festgesetzt und verhört. Seine elektronischen Geräte wurden beschlagnahmt und die Herausgabe seiner Passwörter gefordert. Unter Androhung von 6 Monaten Gefängnis. Unterdessen veranlassten und beaufsichtigten britische Geheimdienstagenten die Zerstörung von Festplatten im Verlagsgebäude des Guardian, der zu den letzten regierungskritisch schreibenden Medien gehört. Festplatten mit unbequemem Inhalt – unbequem für die Regierung. Die Pressefreiheit als letzter Garant des Rechtsstaats wurde damit restlos zerstört.

Wie konnte das nur passieren?

Die westlichen Demokratien sind bereits so umgekippt, dass es eine große Aufgabe wird, sie wieder aufzurichten. Politikwissenschaftler nennen diesen Zustand “Postdemokratie”. Ich will dafür keinen wissenschaftlichen Namen, ich will Heilung. Die brauchen wir dringend. Früher in der Schule habe ich gelernt warum es schlecht ist, dass in der DDR Briefe geöffnet und Telefonate abgehört wurden. Dass es keinen freien Journalismus gab und dass Andersdenkenden das Leben zur Qual gemacht wurde. Um frei denken und politisch mitbestimmen zu können, brauchen Menschen Demokratie und Grundrechte, die die Interessen der Menschen vor dem Staat beschützen. In den Achtzigern gingen in Westdeutschland die Massen gegen Volkszählung auf die Straße, weil der Staat ihnen Fragen stellte. Wo bleiben heute die Massen? Heute fragt der Staat nicht, sondern bedient sich ganz unverschämt selbst an unseren Daten. 2007 wurde die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Das fand ich gefährlich, also zog ich schließlich 2009 meine Konsequenz und trat der Piratenpartei bei. Außerdem bin ich Mitglied bei digitalcourage e.V. und Mehr Demokratie e.V.

Demokratiedefizite

Die Regierungen schränken auch in Deutschland seit Jahrzehnten Grundrechte ein. Dass die Politiker einfach in der Schule nicht aufgepasst hätten, erklärt diesen Fehler nicht. Die Ursache sind Demokratiedefizite. Die Bedürfnisse der Menschen werden nicht direkt berücksichtigt, sondern kommen von den Menschen über Parteien, über Fraktionen, über Koalitionen in Regierungen. In jedem Schritt werden sie schwächer. Die Regierungen sind von den ursprünglichen Bedürfnissen so weit entfernt, dass die meisten davon auf der Strecke bleiben. Die Entscheidungen werden nicht ständig von der Allgemeinheit getroffen, sondern etwa in Koalitionsverhandlungen. Auf Ministerposten schielend, verzichten die etablierten Parteien nur allzu gern auf ihre im Wahlkampf gemachten Freiheitsforderungen und erhalten dafür Steuergeschenke für ihre jeweilige Klientel. Gesetze werden oft direkt von Lobbyisten geschrieben und dann von wenigen Politikern durchgewunken, die digitale Medien nicht verstanden haben. Der Allgemeinheit nützt diese Politik nicht, sondern nur sehr wenigen. Genau deswegen gehen immer weniger Menschen zur Wahl. Manche resignieren sogar und interessieren sich schon nicht mehr. Dadurch stärken sie den Irrsinn noch weiter.

Die Folgen

Ganz Griechenland wird dazu gezwungen, die öffentliche Daseinsfürsorge zusammenbrechen zu lassen, der deutsche Sozialstaat wird zusammengestrichen, Hartz-IV-Bezieher werden illegal gegängelt und in nackte Existenzangst getrieben, damit unsere Steuermilliarden Banken retten, deren Manager sich verspekuliert haben. Ich könnte noch seitenweise aufzählen. Warum das alles passieren konnte? Weil wir es zugelassen haben. Weil es uns egal war. Wir haben uns zu einem Staat entwickelt, der gegen uns arbeitet. Aber: Alle Gewalt geht vom Volke aus. Also können wir unsere vernachlässigte Demokratie reparieren. Dafür ist es höchste Zeit.

Piraten

“Die Piraten haben der überbordenden Überwachung nichts entgegenzusetzen”, heißt es manchmal. Genau das Gegenteil stimmt. Wir Piraten ziehen in den Kampf mit der schärfsten Waffe, die es dagegen gibt: Starke Demokratie. Wir fordern stärkere Bürgerbeteiligung und Volksentscheide auf allen Ebenen weil wir überzeugt sind, dass Menschen nach ihren Bedürfnissen gefragt werden möchten. Wer mich fragt, ob ich auf das eine oder andere Grundrecht teilweise verzichten würde, hört ein lautes “Niemals!”. Damit öffentliche Debatten fundiert sind, fordern wir Transparenz des Staatswesens und chancengleiche Bildung für alle. Damit wir die tatsächlichen Beweggründe der Politiker aufdecken können, fordern wir Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte. Und damit keine neuen Überwachungsgesetze entstehen können, fordern wir eine Stärkung der Grundrechte, sowie die ein Moratorium und die Rücknahme der bisherigen Überwachungsmaßnahmen. In den Parlamenten, in denen bereits Piraten vertreten sind, konnten wir für diese Ziele immer wieder Einzelschritte erreichen, und tun es weiterhin. Alle anderen Parteien im Bundestag haben Überwachungsgesetze beschlossen. Um das zu beenden und rückgängig zu machen, treten Piraten für den Bundestag an. Dort werden sie dringender gebraucht denn je. Ich will eine starke Piratenfraktion im Bundestag sehen. Liebe Freunde der Demokratie: Gemeinsam müssen wir jetzt Überzeugungsarbeit leisten. Ich will meiner Nachwelt keinen Überwachungsstaat hinterlassen.

von Kevin Price (http://flaschenpost.piratenpartei.de/2013/08/31/ueberwachungsstaat-oder-demokratie/) [CC-BY-SA], via Flaschenpost

 

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Lobbyismus als „Kern der Demokratie“?

„Lobbyismus ist der Kern der Demokratie“.

Mit diesem reißerischen Zitat, betitelte die Online-Ausgabe von Telepolis vorgestern einen ihrer Artikel. Worum es ging? Nun, der Ex-Lobbyist und Autor Volker Kitz redet dort über sein neues Buch „Du machst, was ich will: Wie Sie bekommen, was Sie wollen – ein Ex-Lobbyist verrät die besten Tricks“ und plaudert munter darüber, wie man Politiker „menschlich“ behandelt, um von ihnen zu bekommen, was man will, über lobbyistischen Pluralismus und darüber, wie unser „demokratisches“ Regierungsystem eigentlich wirklich funktioniert.

Seiner Ansicht nach ist Lobbyismus vollkommen demokratisch, denn:

Lobbyismus ist der Kern der Demokratie, nämlich dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen ihre Interessen artikulieren und in den politischen Prozess einbringen.

Zitat von Volker Kitz in „Lobbyismus ist der Kern der Demokratie“ (http://www.heise.de/tp/artikel/39/39544/1.html), via Telepolis

und

Alle gesellschaftlichen Gruppen machen Lobbyarbeit: auch Greenpeace, Amnesty International, der Mieterbund, die Gewerkschaften und die Kirchen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Zitat von Volker Kitz in „Lobbyismus ist der Kern der Demokratie“ (http://www.heise.de/tp/artikel/39/39544/1.html), via Telepolis

Laut Herrn Kitz ist Lobbyismus also demokratisch, weil jeder Lobbyismus macht und er daher pluralistisch sei, was heißt, die eigene Lobbyposition ist nur eine unter vielen, die in ihrer Gesamtheit dann die Interessen der Gesellschaft für die Politik abbilden. Auf den ersten Blick scheint einem diese Argumentation einleuchtend, aber ist dem wirklich so?

Zur Beantwortung dieser Frage lohnt es sich, zu betrachten, wie in einer von Lobbyismus durchzogenen Demokratie die Beteiligungsmöglichkeiten jedes einzelnen Bürgers beschaffen sind. Denn in unserer Demokratie geht die Staatsgewalt laut Grundgesetz vom Volke aus und wird von diesem in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt.

Nun spräche natürlich grundsätzlich nichts dagegen, Bürgern und gesellschaftlichen Gruppen weitere Beteiligungsmöglichkeiten an der Politik zu bieten. Wichtig dabei wäre, dass auch für diese Beteiligungsmöglichkeiten die für vorgenannte geltenden Grundsätze – zumindest sinngemäß – Anwendung finden, als da wären: Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit, Gleichheit und Geheimheit.

Wie sieht es damit bei der zusätzlichen Beteiligungsmöglichkeit des Lobbyismus aus?

Geheimheit: Da lobbyistische Einflussnahme auf Politiker zumeist durch nicht-öffentliche Gespräche und informelle Gefälligkeiten von statten geht und darüber hinaus auch konkrete Zuwendungen wie z.B. Spenden erst ab einer bestimmten Höhe veröffentlicht werden müssen, darf das Kriterium „Geheimheit“ wohl als erfüllt gelten. Man könnte sogar sagen, der Grundsatz sei „übererfüllt“, da bei Wahlen und Abstimmungen im Allgemeinen die Öffentlichkeit der Wahlhandlung bis auf die konkrete Entscheidung öffentlich und transparent zu sein hat, was bei lobbyistischer Einflussnahme nicht gegeben ist.

Freiheit: Auch dieses Kriterium scheint erfüllt, da prinzipiell jedem Menschen, jeder gesellschaftlichen Organisation und jeder Interessengruppe die prinzipielle Möglichkeit offen steht, lobbyistisch tätig zu werden oder andere Personen im eigenen Interesse damit zu beauftragen. Auch von Gesetzes wegen, werden diese Möglichkeiten im Allgemeinen wenig beschränkt, beispielsweise gibt es in Deutschland kein Lobbyregister.

Allgemeinheit und Unmittelbarkeit: Diese sind bei einer lobbyistischen Beteiligungsmöglichkeit – unschwer zu erkennen – nicht einmal ansatzweise für jeden Bürger gegeben: Den meisten Bürgern steht die Möglichkeit, sich tatsächlich für ihre eigenen Interessen lobbyistisch zu betätigen schon aus Zeitgründen und wegen mangelnder persönlicher Erreichbarkeit der zu beeinflussenden Politiker nicht offen. Der Lobbyismus über Stellvertreter (z.B. professionelle Lobbyisten) – dessen Verlust an Unmittelbarkeit, vielleicht noch zu verschmerzen wäre – steht dagegen auch nur unter engen Voraussetzungen zur Verfügung, nicht zuletzt der Verfügbarkeit von Finanzmitteln. Selbst dann, wenn – wie Herr Kitz betont – „Lobbyisten […] gerade dafür bezahlt [werden], dass sie es ohne Geld schaffen“ und nicht mit direkter Bestechung arbeiten, denn bezahlt werden wollen und müssen auch die Lobbyisten selbst.

Gleichheit: Auch diesen Grundsatz kann der Lobbyismus bei bestem Willen nicht erfüllen, schließlich dient er geradezu in der Hauptsache dem Zweck, wirtschaftlichen Unternehmen, Vereinen, Interessensgemeinschaften, Religionsgemeinschaften und sonstigen Organisationen, die aus gutem Grund von Wahlen und Abstimmungen (nach dem Grundsatz „Ein Mensch, eine Stimme“) ausgeschlossen sind, die Türen zur Politik zu öffnen. Auch die Finanzproblematik drängt sich hier wieder in den Vordergrund, denn lobbyistische Beteiligungsmöglichkeiten nützen natürlich den Menschen mehr, die sich mehr und bessere Vertreter zur Wahrung ihrer Interessen leisten können, womit der Grundsatz der Gleichheit nichtig ist. Auch dürften sympathische und charismatische Menschen hier leichteres Spiel haben, was auch Herr Kitz nicht unerwähnt lässt:

Denn Geld und Karriere bekommen am Ende die Sympathieträger, nicht die Leistungsträger.

Zitat von Volker Kitz in „Lobbyismus ist der Kern der Demokratie“ (http://www.heise.de/tp/artikel/39/39544/1.html), via Telepolis

Es steht also offenbar mit bisher 3 unerfüllten zu 2 erfüllten demokratischen Grundsätzen nicht zum besten für die demokratische Legitimation lobbyistischer Beteiligungsmöglichkeiten. Allerdings gibt es noch ein sehr viel gewichtigeres Argument gegen Lobbyismus, das bis jetzt außen vor geblieben ist: Das Fairplay.

Die Durchsetzung unserer Politik mit lobbyistischer Einflussnahme ist vor allem auch deshalb problematisch, weil wir eben offiziell eine Demokratie sind und keine Lobbykratie. Es mag naiv klingen und auch etwas kindisch, aber ein Regierungssystem, dass nach außen vorgibt, eine Demokratie zu sein, innerlich Entscheidungen aber völlig anders trifft, ist schlicht und einfach: unfair.

Angenommen, wir hätten eine offene Lobbykratie, dann wäre diese – meiner Meinung nach – mit all ihren Nachteilen und Fehlern zwar ein deutlich schlechteres Regierungssystem als eine echte Demokratie, aber dennoch ein deutlich besseres, als eine Lobbykratie, die sich als Demokratie ausgibt. Denn tatsächlich werden in einer Lobbykratie die meisten Menschen nicht dadurch von echter politischer Einflussnahme ausgeschlossen, weil sie sie sich nicht leisten können, sondern weil sie gar nicht wissen, wie sie auszuüben wäre! Es gibt ein Set von „offiziellen“ Regeln, nach denen unsere Politik angeblich funktionieren sollte und dann gibt es das ganze „inoffizielle“ lobbyistische Geschacher in irgendwelchen Hinterzimmern, die informellen Verabredungen, die kleinen gegenseitigen „Gefallen“, sprich: Die Korruption. Und laut den Menschen, die bereits zu tief in diesem System stecken, um es als solches erkennen zu können oder zu wollen, sind das die Regeln, nach denen „wirklich“ gespielt, mit denen „in Wirklichkeit“ Entscheidungen gefällt werden.

Das hat etwas von der väterlichen Herablassung angeblich „lebenserfahrener“ Menschen, nach dem Motto: „Schön, mein Junge, was du heute alles in der Schule gelernt hast, jetzt setz‘ dich mal auf Papas Schoß und lass‘ dir erklären, wie die Welt in Wirklichkeit funktioniert.“ Wirklich, wirklich ist es Korruption, die man sich selbst schön redet, nichts weiter. Wenn unsere Regierung so funktioniert, könnten wir unsere Politiker auch einfach auslosen. Fairplay sieht anders aus. Wenn fair gespielt wird, darf man auch nicht dumm sein, aber man darf naiv sein! Man darf erwarten, dass die offiziellen Regeln die sind, nach denen gespielt wird, dass Menschen auch meinen, was sie sagen und dass Wahlen und Abstimmungen tatsächlich das Mittel der Einflussnahme auf die Politik sind.

In einer offenen Demokratie sind jedem Bürger seine Einflussmöglichkeiten bekannt (auch in einer offenen Lobbykratie wären sie das), nur in einer als Demokratie getarnten Lobbykratie sind sie es nicht. Deswegen müssen wir zu einer offenen Regierungsform zurückkommen und meiner Meinung nach sollte das die Demokratie sein. Da müssen wir (wieder) hin!

Menschen wie Herr Kitz möchten natürlich genau in die andere Richtung: Sie möchten sich nicht mehr verstecken müssen, sie möchten eine offene Lobbykratie, in der Lobbyisten als ganz normale Dienstleister agieren, sie halten ihr Tun für einfach menschlich. Doch was sie tun, ist nichts als Manipulation um der eigenen Interessen willen.

Zum Abschluss möchte ich gern noch ein Beispiel für dieses Bestreben vorstellen, das mir vor einiger Zeit in den Untiefen des Internets begegnet ist: Es heißt DemocReady.

Als ich diese Seite zum ersten Mal gesehen habe, ging mir tatsächlich der Ar*** auf Grundeis! Fast schon panisch und mit kaltem Schweiß auf dem Rücken, suchte ich nach dem Hinweis, der mir sagt, dass das alles nur ein böser Scherz, eine gut gemachte Satire ist – und ich fand ihn auch.

DemocReady ist nicht real – noch nicht! Noch ist Lobbyist kein dienstleistender Beruf, noch können demokratische Beteiligungsmöglichkeiten und die Meinungen der Menschen nicht in dem beschriebenen Ausmaß für Unternehmensinteressen instrumentalisiert werden. Noch können Unternehmen sich nicht offen darüber beraten lassen, wie sie aus ihren Partikularinteressen Gesetze machen. Noch ist DemocReady nur Satire und offener Lobbyismus noch ein Tabu.

Doch Menschen wie Herr Kitz arbeiten darauf hin, dass es nicht so bleibt. Sie flüstern uns ein, sie wüssten wie die „wirkliche“ Welt tickt und gewöhnen uns daran, dass Korruption menschlich und darum akzeptabel sei. Wir dürfen ihnen nicht auf dieses argumentative Glatteis folgen. Es ist die selbe Argumentation, die behauptet, alles was „natürlich“ sei, sei erlaubt. Aber genau wie wir danach streben müssen, mehr zu sein, als nur das Produkt „natürlicher“ Instinkte, müssen wir danach streben, mehr zu sein, als „nur menschlich“ – weil wir Verantwortung tragen! Für uns und für andere. Es reicht nicht, zu sagen, es geht seinen Gang:

Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!

Zitat von Günter Eich in Träume. Vier Spiele. Suhrkamp Verlag, Copyright 1953, 11.-15. Tausend 1960, S. 190

 

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Mein Unwort des Tages – „wettbewerbsfähig“

So, kurze Erklärung zu Beginn: Ich möchte hier eine neue Reihe anfangen, in der ich mehr oder weniger regelmäßig – je nachdem wieviel Lust ich habe und was mich gerade aufregt – verschiedene Wörter vorstelle, die mich, absolut oder im Zusammenhang, einfach nur ankotzen. Meistens deswegen, weil sie irgendwas bestimmtes darstellen, was mit diesem Land und seiner Politik oder auch der Welt im Allgemeinen nicht stimmt oder einfach nur falsch ist. Die meisten dieser Wörter offenbaren nach meiner Ansicht fundamentale Denkfehler der Menschen, die hier leider das Sagen haben oder es gerne hätten und warum ihre darauf aufbauenden Entscheidungen so dermaßen „doppel-plus-ungut“ sind, dass man sich oft fragt, ob die eigentlich nachdenken über das, was sie tun – denn aus falschen Grundannahmen entspringen selten gute Entscheidungen.

Mein heutiges Unwort des Tages: „wettbewerbsfähig“.

Um zu verstehen, warum dieses Wort mein Unwort des Tages ist, sollte man es zunächst in dem Kontext sehen, in dem es heute oft verwendet wird und nicht in dem, für den es eigentlich da ist. Denn im Allgemeinen wird Wettbewerbsfähigkeit wohl eher als gut assoziiert: Man denkt dabei an Dynamik, an Leistungsbereitschaft und an Erfolg. Doch der Kontext in den ich dieses Wort häufig gesetzt sehe, ist folgender: der Staat.

Es wird in der heutigen politischen Landschaft viel und gerne davon gesprochen, dass Staaten (und damit als zweiter Schritt auch deren Gesellschaften) wettbewerbsfähig werden oder es bleiben müssten. Doch was bedeuten die Begriffe Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit? Wikipedia meint dazu:

Bei Wettbewerb handelt es sich um das Rivalisieren von Marktteilnehmern um Ressourcen, Kunden, Absätze, Marktanteile usw. Indem der einzelne Anbieter den Kunden die besten und günstigsten Geschäftsbedingungen anbietet, entsteht Wettbewerb, sei es Preis-, Qualitäts-, Service- oder Designwettbewerb. Interner Eigenantrieb und/oder externer Konkurrenzdruck führen zu ständiger Entwicklung und Verwirklichung wettbewerblicher Vorteile gegenüber der Konkurrenz, das heißt zu Wettbewerbsfähigkeit.

Zuerst einmal sieht man hier folgendes: Wettbewerbsfähigkeit ist ein Begriff aus der Wirtschaft. Es ist eine Fähigkeit, die wirtschaftliche Unternehmen besitzen müssen, um gegen ihre Konkurrenz bestehen und ihre Kunden zufrieden stellen zu können und „an den Märkten“ erfolgreich zu sein. Wohlgemerkt: Unternehmen. Was bedeutet es nun, wenn versucht wird, dieses Konzept auf Staaten und Gesellschaften zu übertragen? Angenommen, der Staat sei ein Unternehmen, wer sind seine „Kunden“, die er locken muss, wer seine „Konkurrenten“ gegen die es sich durchzusetzen gilt und was sind die Kriterien (bei Unternehmen – s.o. – u.a. Preis, Qualität, Service und Design der angebotenen Produkte und Dienstleistungen) die für seinen diesbezüglichen Erfolg wichtig sind?

Im Folgenden soll diese Frage stichpunktartig beantwortet werden, wir beginnen mit der „Soll“-Situation:

  • Die „Kunden“: Die Kunden des Unternehmens „Staat“ sind natürlich die Menschen, die in ihm leben und die ihn irgendwann einmal (bewusst oder unbewusst) dazu errichtet haben, um für sie gewisse gesellschaftliche und gemeinschaftliche Aufgaben zentral zu erfüllen und in Vertretung angemessene Rahmenbedingungen und Regeln zu entwerfen, nach denen die Gesellschaft leben soll. Zu diesen Aufgaben gehören z.B.: Rechtssprechung, Soziale Absicherung, Bildung oder der Aufbau und Erhalt verschiedenster öffentlicher Infrastruktur. Die Mittel dafür stellt die Gemeinschaft der in dem Land lebenden Menschen, z.B. in Form von Geld (durch Steuern, Abgaben, etc.) oder Personal (Beamte und „Staatsdiener“) – gewissermaßen könnte man also sagen, sie „bezahlen“ in für verschiedene „Dienstleistungen“. Insofern ist die Analogie zu einem Unternehmen nicht unbedingt falsch.
  • Die „Konkurrenz“: Die Konkurrenz des Staates sind dementsprechend – wie sollte es anders sein? – natürlich alle anderen Staaten dieser Welt. Auch diese erhalten von ihren Bevölkerungen impliziet genau die selben Aufgaben übertragen, nämlich ihr Land und die Rahmenbedingungen ihrer Gesellschaft lebenswert zu gestalten. Je nach dem wie gut der Staat das bewerkstelligt, belohnt oder bestraft ihn (oder seine Repräsentanten) die Bevölkerung dafür, z.B. mit Wahlen und Abstimmungen und in extremeren Fällen auch durch Revolutionen oder der „Abstimmung mit den Füßen“, also der Wahl eines anderen Staates, von dem man sich besseres erhofft.
  • Die Kriterien: Die Kriterien, anhand derer die Staaten nun um die Gunst ihrer Bevölkerungen buhlen, sind vielfältig, einige wurden weiter oben bereits genannt. Ihnen allen gemeinsam ist, dass es Kriterien sind, anhand derer die Bevölkerung oder die Gesellschaft eines Landes ihre Zufriedenheit bemisst und ob die Politik ihres Landes für sie im Großen und Ganzen oder auch in persönlicheren Interessen „funktioniert“. Das können auch – und vielleicht sogar in erster Linie  – immaterielle Kriterien sein.

Wer nun die Äußerungen unserer Politiker zum Thema der „Wettbewerbsfähigkeit“ von Staaten verfolgt hat, dem wird schwerlich entgangen sein, dass dort im Allgemeinen eine andere Definition vorherrscht, eine im negativsten Sinne „verwirtschaftlichte“ und falsche Definition – das bringt uns zur „Ist“-Situation:

  • Die „Konkurrenz“: Hier bleibt zunächst alles beim alten. Die Konkurrenz sind die anderen Staaten. Der grundlegenden Unterschied zur „Soll“-Situation, ist die offenbar grundfalsch gedachte Auffassung davon, um wessen Gunst die Staaten buhlen sollten:
  • Die „Kunden“: Hier nun kommen wir zu des Pudels Kern: Das Bestreben unserer heutigen Politiker ist in einem erschreckenden Ausmaß nicht mehr darauf ausgerichtet, den Staat für die eigene Bevölkerung und Gesellschaft attraktiv zu gestalten – nein, vielmehr sollen Staaten „wettbewerbsfähig“ sein, im Sinne von Unternehmen, die es anzulocken gilt – man könnte (in Analogie zur Wirtschaft) sagen: Sie konzentrieren sich auf die falsche „Zielgruppe“. Die Gründe dafür können vielfältig sein, z.B. kommen die Verlockungen der Unternehmens-Lobbyisten ebenso in Frage, wie die ehrlich gemeinte Sorge um das Wohlergehen der Bevölkerung, die sich mit einem naiven Irrglauben an die Allmacht „der Märkte“ oder der falschen Überzeugung, dass die Interessen „der Wirtschaft“ immer übereinstimmend oder zumindest kooperativ mit denen der Bevölkerung sind, paart.
  • Die Kriterien: Wenn man nun natürlich – aus welchem Grund auch immer – eine falsche Auffassung darüber vertritt, wessen Interessen man verpflichtet ist und um wessen Anerkennung man kämpfen muss, dann ist es nicht verwunderlich, wenn man andere (und im großen Zusammenhang leider falsche) Kriterien dafür ansetzt, wie das zu erreichen ist: Im Gegensatz zu Menschen lassen sich Unternehmen leider nicht ködern mit Dingen wie z.B. funktionierenden Rechtssystemen, fairen Löhnen und starken Gewerkschaften, sozialen Sicherungssystemen, einer intakten Umwelt oder zweckunabhängiger Bildung der Bevölkerung. Und so kommt es, wie es kommen muss:
    • Gesetze zum Verbraucherschutz werden ausgehebelt und andere maßgeschneidert auf die Bedürfnisse von Unternehmen, sich gegen berechtigte Ansprüche von Privatpersonen und Kunden „zur Wehr zu setzen“.
    • Die „Schaffung von Arbeitsplätzen“ wird Staatsraison, auch wenn die Löhne dafür zum Leben der Arbeitnehmer nicht mehr reichen.
    • Soziale Sicherungssysteme werden geschwächt und ausgehebelt, denn die Lohnnebenkosten müssen runter.
    • Der Umweltschutz wird zugunsten niedrigerer Kosten der Unternehmen hinten angestellt.
    • Schulen und andere Bildungseinrichtungen dienen zunehmend nur noch dazu „Fachkräfte“ für den Arbeitsmarkt zu „produzieren“, Erziehung zu kritischem Denken und Allgemeinbildung werden nicht mehr gebraucht.

Und so kommen wir dann auch zur entgültigen Zusammenfassung, warum ich das Wort „wettbewerbsfähig“ nicht mehr hören kann:

Die Staaten müssen sich entscheiden, um wessen Gunst sie im Wettbewerb stehen wollen – die ihrer Bevölkerung oder die der Unternehmen. Und damit entscheiden sie auch, mit welchen Staaten sie im Wettbewerb stehen: Mit modernen, freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaaten, denen etwas am Wohlergehen der Menschen ihres Landes liegt oder mit Staaten, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, in denen Gesetze zugunsten von Unternehmen gemacht und Regierungsvertreter starflos bestochen werden, in denen soziale Ausbeutung und Dumping-Löhne gefördert werden, in denen die Bildung der Bevölkerung als Risiko und die Umwelt nur als ausbeut- und verkaufbare Ressource betrachtet wird.

Meine Meinung: Unser Staat und unsere Politiker haben die falsche Entscheidung getroffen! Der Staat ist kein Unternehmen und er ist nicht für die Unternehmen da!

Die Bevölkerung muss aufstehen und mit klarer Stimme sagen: Der Staat gehört, das sind wir! Der Staat gehört uns!

Machen wir den Politikern wieder klar, wem sie verpflichtet sind!

 

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Regulierung der Wirtschaft

Vorbemerkung: Dieser Artikel ist eigentlich Teil des größeren Artikels Gute Ideen ohne Umsetzer, der wiederum Teil des Artikels Warum Deutschland die Piraten braucht ist. Er kann einzeln gelesen werden, ist im Kontext aber wahrscheinlich besser verständlich.

Regulierung der Wirtschaft

In der heutigen Politik ist eine zunehmende Tendenz zu erkennen, die klassische soziale Marktwirtschaft, die das Ziel verfolgt, den Akteuren auf den freien Märkten sinnvolle Rahmenbedingungen aufzuerlegen, die ihr Handeln zum Wohl der gesamten Gesellschaft hin lenken sollen, auf breiter Front zu untergraben und einer weitgehenden Deregulierung der Wirtschaft zu gunsten großer Unternehmen Vorschub zu leisten.

Das Konzept einer deregulierten Wirtschaft ist aus meiner Sicht schon deshalb nicht funktionsfähig, weil es von den Bedingungen eines idealen Marktes ausgeht, der in der Realität nicht gegeben ist und auch niemals gegeben sein kann: Kriterien für einen idealen Markt sind bspw. ein Punktmarkt, auf dem keine zeitlichen, räumlichen (z.B. Lieferzeiten, Anfahrtswege) oder persönlichen (z.B. sympathisches Gesicht eines Firmengründers, Werbung) Präferenzen herrschen, eine vollkommene Markttransparenz für alle Akteure und die Gleichartigkeit aller gehandelten Güter. Auf einem solchen Markt würden sich alle Akteure „rational“ verhalten und dadurch der größte Nutzen für alle Beteiligten entstehen.

Es ist leicht zu erkennen, wie vieles davon in der Realität nicht zutrifft: Da geht man als Kunde zum Bäcker, der auf dem Weg zur Arbeit liegt (obwohl der drei Straßen weiter das Brötchen vielleicht ein paar Cent billiger hat), da werden Kunden durch Werbung gezielt über Eigenschaften von Produkten belogen oder müssen auf welche hingewiesen werden, von denen sie sonst nichts erfahren hätten (ergo: keine Transparenz) und die verkauften Produkte weisen teilweise erhebliche Unterschiede in Qualität oder Herstellungsverfahren auf.

Auch sind sich die Anhänger der vollkommenen Marktliberalität, die immer wieder darauf pochen, dass sich der Staat doch nach Möglichkeit vollständig aus „der Wirtschaft“ herauszuhalten habe, offenbar in erschreckendem Ausmaß der Tatsache nicht bewusst, was alles wegfallen würde, wenn der Staat der Forderung einer vollkommenen Deregulierung tatsächlich nachkäme:

Beispielsweise garantiert der Staat für die Einhaltung von vertraglichen Vereinbarungen, die man falls nötig auch einklagen kann. Auch garantiert er für grundlegende Rechte, die die Akteure in der Wirtschaft gegeneinander geltend machen können, weil sie eben nicht nur wirtschaftliche Akteure, sondern vor allem Menschen sind. Und er sorgt für wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Bereichen, die für Unternehmen nicht monetär bezifferbar, aber für die Gesamtgesellschaft von unschätzbarer Bedeutung sind (z.B. die Erhaltung der Umwelt oder sozialverträgliche Arbeitsbedingungen).

Dennoch sind insbesondere die Vertreter großer Unternehmen immer bereit, diese Forderungen gegenüber der Politik lautstark zu vertreten – und ihre Forderungen mit finanzstarken „Argumenten“ zu unterstützen. Und unsere Politiker gehen nur allzu oft gern auf diese Angebote ein.

Natürlich, warum sollten sie auch nicht, wenn sie aus ihrem gesamten Umfeld heraus immer wieder bestärkt werden, dass solches Verhalten zum normalen politischen Betrieb gehöre und immerhin hat man es dort doch auch mit Experten zu tun? Die Interessen der Wähler und damit des Volkes, des eigentlichen Souveräns einer jeden Demokratie, geraten dabei natürlich regelmäßig ins Hintertreffen.

Wer solchen Zuständen einen Riegel vorschieben will, wer erreichen will

  • dass der Sozialabbau zugunsten großer Unternehmen (und natürlich auch Banken) aufhört,
  • dass die immer wieder versprochene Regulierung der außer Kontrolle geratenen Märkte und die soziale Marktwirtschaft keine leeren Phrasen bleiben, die nach der Wahl regelmäßig ins Gegenteil verkehrt werden und
  • dass die Stimme des Volkes mehr Gewicht hat als die Einflüsterungen von finanzkräftigen Lobbyisten,

der sollte den Mut haben, eine Partei zu wählen, die sich ausdrücklich die Ziele von Bürgerbeteiligung, Transparenz, sozialer Teilhabe und Lobbyismus-Abstinenz auf die Fahnen geschrieben und sich an diesen Idealen messen lassen will! (Und mal ganz ehrlich – schlimmer kann es in der Hinsicht kaum werden, oder? ;-))

Hier noch ein nettes kleines Infotainment-Video zum Thema Lobbyismus:


von alexanderlehmann (http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/extra_3/videos/extra2643.html) [CC-BY-NC-ND-3.0-de], via Vimeo.com (für vollständige Angabe der Beteiligten siehe Ende des Videos)

 
 

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Gute Ideen ohne Umsetzer

Vorbemerkung: Dieser Artikel ist eigentlich Teil des größeren Artikels Warum Deutschland die Piraten braucht. Er kann einzeln gelesen werden, ist im Kontext aber wahrscheinlich besser verständlich.

Gute Ideen ohne Umsetzer

Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass es viele politisch oder gesellschaftlich sehr gute Ideen gibt, bei denen man davon ausgehen muss, dass die „etablierten“ Parteien und Politiker sie aus einem einzigen Grund niemals umsetzen werden – weil sie „etabliert“ sind!

Das ist menschlich sehr verständlich: Sie schützen ein System. Es ist ein System, das ihnen persönlich in der ein oder anderen Form Vorteile bringt; sei es durch politische Einflussnahme oder auch einfach nur finanziell. Aber ist es auch das beste System für die Gesellschaft und für die Teilhabe der Bürger in einem demokratischen Staat? Ich denke: nein.

Ich möchte dieses Verhalten der „etablierten“ Politik in diesem Punkt durch einige Beispiele verständlich machen. Es sind Beispiele für Ideen (sowohl aus den konkreten Programmen als auch den langfristigen Visionen der Piraten), die meiner Ansicht nach in der derzeitigen politischen Landschaft und Mentalität niemals Umsetzer finden können:

Direkte Demokratie und „flüssige“ Demokratie

Stell dir vor, du lebst in einem Land, in dem du als Bürger über die politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen, die uns alle betreffen, mitbestimmen kannst. In dem du nicht mehr auf „die da oben“ schimpfen und ohnmächtig mitansehen musst, wie Politiker, die vorgeben, dich zu vertreten, Entscheidungen treffen, bei denen du dir am liebsten den Kopf gegen einen harten Gegenstand knallen würdest. In dem du selbstbestimmt über die Zukunft Deutschlands, Europas und der Welt mitentscheiden kannst – denn du bist Teil des Volkes, des Souveräns, des eigentlichen Regenten dieser Demokratie.

Du möchtest in einem solchen Land leben? Dann weißt du bereits, was du tun willst – jetzt stellt sich die Frage, wie das geht. Ganz einfach – durch mehr direkte Demokratie. Oder noch besser: durch „flüssige“ Demokratie – auch genannt „Liquid Democracy“.

Der Begriff „direkte Demokratie“ ist dabei fast selbsterklärend: Er bedeutet, dass du – der Bürger – direkt und nicht nur durch die Wahl von Repräsentanten, die dich naturgemäß nicht in allen Belangen wirklich repräsentieren können, an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen beteiligen und eigene Ideen einbringen kannst. Aber auch bereits eine direktere Wahl der Repräsentanten kann ein Schritt in Richtung direkte Demokratie sein.

Hier ein Beispiel für letzteres: Weißt du eigentlich, wie und vor allem durch wen die höchsten Ämter in unserem Staat besetzt werden? Eines ist sicher – durch dich nicht! Sie werden von den politischen Parteien in diesem Land gewählt oder direkt durch die gebildete Regierung bestimmt. Sie werden also von Leuten gewählt, die du vorher gewählt hast – viel indirekter geht es kaum.

Wenn du nur mal grob über den Daumen gepeilt im Kopf durchgehst, zu welchem Prozentsatz du die Themen, die dir wichtig sind, als durch die gewählten Abgeordneten im Bundestag angemessen vertreten siehst – 90%? 75%? oder vielleicht sogar 50 oder weniger? – dann wirst du wahrscheinlich zu dem Ergebnis kommen: Dieser Wert könnte höher sein. Und wenn du dir nun überlegst, dass diese Leute wiederum die Menschen wählen, die die mächtigsten Ämter im Staate besetzen, dann kannst du dir sicher vorstellen, wie groß dieser Wert bei denen noch sein wird.

Wäre es da nicht viel besser, du könntest selbst über das entscheiden, was dir wichtig ist?

Kommen wir nun zum zweiten o.g. Begriff: Liquid Democracy oder „flüssige“ Demokratie. Was heißt das? Es ist im Grunde eine Idee dafür, wie man die Vorteile der klassischen repräsentativen Demokratie und der oben beschriebenen direkten Demokratie am besten verbinden und die jeweiligen Nachteile minimieren kann.

Wenn du weiter oben im Text bereits daran gedacht hast, welche Themen dir wichtig sind und wie du sie vertreten siehst, dann merkst du sicher auch, dass es ebenso Themen gibt, die du nicht so spannend findest – dir ist möglicherweise aber auch bewusst, dass sie ebenfalls sehr wichtig sein können. In einer rein direkten Demokratie besteht dadurch die Gefahr, dass wichtige aber z.B. schwer vermittelbare Themen, schnell von Extremisten vereinnahmt werden können, die ihre Sicht der Dinge durchsetzen können, einfach weil es sie interessiert und sie ihre Sympathisanten besser mobilisieren können.

Wie sorgst du nun dafür, dass so etwas nach Möglichkeit nicht passiert? Ganz einfach: du lässt dich von jemandem repräsentieren! Jetzt könntest du denken: Hä? War repräsentative Demokratie ein paar Zeilen weiter oben nicht gerade noch was schlechtes? Das trifft auch zu, wenn sie allein steht. Aber Liquid Democracy ist der Versuch hier „das beste beider Welten“ zu vereinen. Wie das geht? Ganz einfach:

In der „flüssigen“ Demokratie hast du nicht nur die Wahl, entweder alle Einflussmöglichkeiten an einen Repräsentanten abzugeben oder alles selber entscheiden zu müssen – du kannst stattdessen für jedes Themengebiet (z.B. Wirtschaft oder Außenpolitik), aber auch für jedes spezielle Thema (z.B. „Euro-Rettung“ oder Asylpolitik) und sogar für jede Einzelentscheidung (z.B. eine spezielle Staatsausgabe oder die Abgabe eines bestimmten Kompetenzgebietes an die EU) separat festlegen, ob du die Entscheidung selbst treffen oder dich von jemandem repräsentieren lassen möchtest. Auch kannst du dich von einer beliebigen Person repräsentieren lassen: Das kann ein Politiker sein, aber auch z.B. ein Experte, den du in einer Fernseh-Diskussion gesehen hast und dessen Ansichten dir vernünftig vorkommen. Oder auch einfach ein Freund, Nachbar oder Arbeitskollege den du kompetent oder sympathisch findest.

Und das beste: Du kannst diese Entscheidung jederzeit ändern und dich direkt in jedes Thema einklinken, das spontan dein Interesse geweckt hat – anstatt nur alle vier Jahre zu wählen. Und keine Sorge: natürlich bleiben auch diejenigen, die es lieber einfach mögen nicht außen vor – es besteht selbstverständlich auch die Möglichkeit, alle Entscheidungen wie bisher z.B. nur auf den eigenen Wahlkreisabgeordneten zu übertragen.

Denkst du jetzt: Wow, das klingt ja super, aber wie kriegen wir das hin? Nun, dann solltest du – natürlich, was sonst 😉 – die Piraten wählen. Denn wieder stellt sich das Problem, dass die „etablierten“ Parteien kein Interesse daran haben können, die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bevölkerung zu erhöhen. Man merkt tagtäglich an der Rethorik unserer Politiker, dass in unserer politischen Kultur der Wähler zunehmend nicht als mündiger Bürger angesehen wird, dessen Meinung gehört werden muss und der fähig ist, eigenverantwortliche und qualifizierte Entscheidungen zu treffen, sondern als Ärgernis oder lästiges Übel, das alle vier Jahre wieder besänftigt werden muss.

Die Piraten stehen hier wiederum nicht nur für neue politische Instrumente, sondern für eine ganze neue dahinterstehende politische Kultur und Mentalität, deren Anstoß wieder einmal nur noch von außen kommen kann. Der Weg dahin wird lang und steinig sein und wir werden Widerstände und Rückschläge in Kauf nehmen müssen – aber gemeinsam können und werden wir es schaffen, wenn wir es nur jetzt wagen, den ersten Schritt zu machen!

Die Alternativstimme

Diese Idee behandelt die Einführung einer Alternativstimme, mit der der Wähler eine Partei wählen kann, die seine Zweitstimme erhält, sollte seine eigentlich bevorzugte Partei aufgrund der 5%-Hürde den Einzug in den Bundestag nicht schaffen. Es könnte sogar die Möglichkeit geschaffen werden, mehrere Parteien entsprechend der eigenen Präferenz anzuordnen (z.B. erst die Piraten, schaffen die es nicht, dann die Linke, wenn die auch nicht, dann die SPD usw.).

Diese Idee würde kleinen Parteien trotz der 5%-Hürde den Einzug in den Bundestag erleichtern, weil ihre Wähler im Zweifelsfall nicht mehr davon ausgehen müssen, dass ihre Stimme „nicht gewertet“ wird, wenn ihre Partei es nicht schafft. Die durch die bisherige Praxis entstehenden Verzerrungen bei der Abbildung des Wählerwillens im Parlament könnten so minimiert und die durch die 5%-Hürde beabsichtigte Verhinderung der „Zersplitterung“ des Parlaments trotzdem beibehalten werden.

Klingt doch eigentlich ganz gut, oder? Nur warum macht es dann niemand? Ganz einfach: Die Parteien, die bereits im Bundestag vertreten sind, sind auf eine Alternativstimme nicht angewiesen; sie wissen in der Masse bereits sicher (bis vielleicht auf die FDP ;-)), dass sie die 5%-Hürde überschreiten werden. Sie sehen also persönlich keinen Vorteil darin. Sie können aber absehen, dass der Einzug kleinerer oder neuer Parteien in den Bundestag ihren Anteil am „Kuchen“ natürlich schmälern würde – dass sie das nicht wollen können, ist klar. Auf die Bedürfnisse des Volkes in einer Demokratie wird dabei erschreckend wenig Rücksicht genommen.

Für die Vorantreibung einer solchen Veränderung des Wahlrechts braucht es folglich Parteien, die genau von dieser Problematik selbst betroffen sind und ja – die natürlich ein äußerst eigennütziges Interesse daran haben – z.B. die Piraten. 😉 Aber der Nutzen für das gesamte „Wahlvolk“ wurde ja bereits aufgezeigt und warum soll man nicht etwas Gutes für die Allgemeinheit tun, das einem auch ganz persönlich nützt? Da schlägt man doch zwei Fliegen mit einer Klappe. 😀

Regulierung der Wirtschaft

In der heutigen Politik ist eine zunehmende Tendenz zu erkennen, die klassische soziale Marktwirtschaft, die das Ziel verfolgt, den Akteuren auf den freien Märkten sinnvolle Rahmenbedingungen aufzuerlegen, die ihr Handeln zum Wohl der gesamten Gesellschaft hin lenken sollen, auf breiter Front zu untergraben und einer weitgehenden Deregulierung der Wirtschaft zu gunsten großer Unternehmen Vorschub zu leisten.

Das Konzept einer deregulierten Wirtschaft ist aus meiner Sicht schon deshalb nicht funktionsfähig, weil es von den Bedingungen eines idealen Marktes ausgeht, der in der Realität nicht gegeben ist und auch niemals gegeben sein kann: Kriterien für einen idealen Markt sind bspw. ein Punktmarkt, auf dem keine zeitlichen, räumlichen (z.B. Lieferzeiten, Anfahrtswege) oder persönlichen (z.B. sympathisches Gesicht eines Firmengründers, Werbung) Präferenzen herrschen, eine vollkommene Markttransparenz für alle Akteure und die Gleichartigkeit aller gehandelten Güter. Auf einem solchen Markt würden sich alle Akteure „rational“ verhalten und dadurch der größte Nutzen für alle Beteiligten entstehen.

Es ist leicht zu erkennen, wie vieles davon in der Realität nicht zutrifft: Da geht man als Kunde zum Bäcker, der auf dem Weg zur Arbeit liegt (obwohl der drei Straßen weiter das Brötchen vielleicht ein paar Cent billiger hat), da werden Kunden durch Werbung gezielt über Eigenschaften von Produkten belogen oder müssen auf welche hingewiesen werden, von denen sie sonst nichts erfahren hätten (ergo: keine Transparenz) und die verkauften Produkte weisen teilweise erhebliche Unterschiede in Qualität oder Herstellungsverfahren auf.

Auch sind sich die Anhänger der vollkommenen Marktliberalität, die immer wieder darauf pochen, dass sich der Staat doch nach Möglichkeit vollständig aus „der Wirtschaft“ herauszuhalten habe, offenbar in erschreckendem Ausmaß der Tatsache nicht bewusst, was alles wegfallen würde, wenn der Staat der Forderung einer vollkommenen Deregulierung tatsächlich nachkäme:

Beispielsweise garantiert der Staat für die Einhaltung von vertraglichen Vereinbarungen, die man falls nötig auch einklagen kann. Auch garantiert er für grundlegende Rechte, die die Akteure in der Wirtschaft gegeneinander geltend machen können, weil sie eben nicht nur wirtschaftliche Akteure, sondern vor allem Menschen sind. Und er sorgt für wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Bereichen, die für Unternehmen nicht monetär bezifferbar, aber für die Gesamtgesellschaft von unschätzbarer Bedeutung sind (z.B. die Erhaltung der Umwelt oder sozialverträgliche Arbeitsbedingungen).

Dennoch sind insbesondere die Vertreter großer Unternehmen immer bereit, diese Forderungen gegenüber der Politik lautstark zu vertreten – und ihre Forderungen mit finanzstarken „Argumenten“ zu unterstützen. Und unsere Politiker gehen nur allzu oft gern auf diese Angebote ein.

Natürlich, warum sollten sie auch nicht, wenn sie aus ihrem gesamten Umfeld heraus immer wieder bestärkt werden, dass solches Verhalten zum normalen politischen Betrieb gehöre und immerhin hat man es dort doch auch mit Experten zu tun? Die Interessen der Wähler und damit des Volkes, des eigentlichen Souveräns einer jeden Demokratie, geraten dabei natürlich regelmäßig ins Hintertreffen.

Wer solchen Zuständen einen Riegel vorschieben will, wer erreichen will

  • dass der Sozialabbau zugunsten großer Unternehmen (und natürlich auch Banken) aufhört,
  • dass die immer wieder versprochene Regulierung der außer Kontrolle geratenen Märkte und die soziale Marktwirtschaft keine leeren Phrasen bleiben, die nach der Wahl regelmäßig ins Gegenteil verkehrt werden und
  • dass die Stimme des Volkes mehr Gewicht hat als die Einflüsterungen von finanzkräftigen Lobbyisten,

der sollte den Mut haben, eine Partei zu wählen, die sich ausdrücklich die Ziele von Bürgerbeteiligung, Transparenz, sozialer Teilhabe und Lobbyismus-Abstinenz auf die Fahnen geschrieben und sich an diesen Idealen messen lassen will! (Und mal ganz ehrlich – schlimmer kann es in der Hinsicht kaum werden, oder? ;-))

Ankündigung und Fazit

Zunächst möchte ich ankündigen, dass ich diesen Abschnitt gerne noch um weitere gute Ideen ergänzen werden, die von der „etablierten“ Politik systemimmanent unterdrückt werden, sobald sie mir ins Auge springen. 😉 Anregungen dafür sind mir hier immer herzlich willkommen.

Hier nun mein Fazit zum Thema „Ideen ohne Umsetzer“:

Deutschland braucht die Piraten – für neue Ideen und mehr Mitbestimmung in der Politik, für neue demokratische Strukturen und ein zeitgemäßes und angemessenes Wahlrecht und für eine geregelte, soziale Marktwirtschaft, die den Menschen und der Gesellschaft dient!

 

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