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Mein Unwort des Tages – „wettbewerbsfähig“

So, kurze Erklärung zu Beginn: Ich möchte hier eine neue Reihe anfangen, in der ich mehr oder weniger regelmäßig – je nachdem wieviel Lust ich habe und was mich gerade aufregt – verschiedene Wörter vorstelle, die mich, absolut oder im Zusammenhang, einfach nur ankotzen. Meistens deswegen, weil sie irgendwas bestimmtes darstellen, was mit diesem Land und seiner Politik oder auch der Welt im Allgemeinen nicht stimmt oder einfach nur falsch ist. Die meisten dieser Wörter offenbaren nach meiner Ansicht fundamentale Denkfehler der Menschen, die hier leider das Sagen haben oder es gerne hätten und warum ihre darauf aufbauenden Entscheidungen so dermaßen „doppel-plus-ungut“ sind, dass man sich oft fragt, ob die eigentlich nachdenken über das, was sie tun – denn aus falschen Grundannahmen entspringen selten gute Entscheidungen.

Mein heutiges Unwort des Tages: „wettbewerbsfähig“.

Um zu verstehen, warum dieses Wort mein Unwort des Tages ist, sollte man es zunächst in dem Kontext sehen, in dem es heute oft verwendet wird und nicht in dem, für den es eigentlich da ist. Denn im Allgemeinen wird Wettbewerbsfähigkeit wohl eher als gut assoziiert: Man denkt dabei an Dynamik, an Leistungsbereitschaft und an Erfolg. Doch der Kontext in den ich dieses Wort häufig gesetzt sehe, ist folgender: der Staat.

Es wird in der heutigen politischen Landschaft viel und gerne davon gesprochen, dass Staaten (und damit als zweiter Schritt auch deren Gesellschaften) wettbewerbsfähig werden oder es bleiben müssten. Doch was bedeuten die Begriffe Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit? Wikipedia meint dazu:

Bei Wettbewerb handelt es sich um das Rivalisieren von Marktteilnehmern um Ressourcen, Kunden, Absätze, Marktanteile usw. Indem der einzelne Anbieter den Kunden die besten und günstigsten Geschäftsbedingungen anbietet, entsteht Wettbewerb, sei es Preis-, Qualitäts-, Service- oder Designwettbewerb. Interner Eigenantrieb und/oder externer Konkurrenzdruck führen zu ständiger Entwicklung und Verwirklichung wettbewerblicher Vorteile gegenüber der Konkurrenz, das heißt zu Wettbewerbsfähigkeit.

Zuerst einmal sieht man hier folgendes: Wettbewerbsfähigkeit ist ein Begriff aus der Wirtschaft. Es ist eine Fähigkeit, die wirtschaftliche Unternehmen besitzen müssen, um gegen ihre Konkurrenz bestehen und ihre Kunden zufrieden stellen zu können und „an den Märkten“ erfolgreich zu sein. Wohlgemerkt: Unternehmen. Was bedeutet es nun, wenn versucht wird, dieses Konzept auf Staaten und Gesellschaften zu übertragen? Angenommen, der Staat sei ein Unternehmen, wer sind seine „Kunden“, die er locken muss, wer seine „Konkurrenten“ gegen die es sich durchzusetzen gilt und was sind die Kriterien (bei Unternehmen – s.o. – u.a. Preis, Qualität, Service und Design der angebotenen Produkte und Dienstleistungen) die für seinen diesbezüglichen Erfolg wichtig sind?

Im Folgenden soll diese Frage stichpunktartig beantwortet werden, wir beginnen mit der „Soll“-Situation:

  • Die „Kunden“: Die Kunden des Unternehmens „Staat“ sind natürlich die Menschen, die in ihm leben und die ihn irgendwann einmal (bewusst oder unbewusst) dazu errichtet haben, um für sie gewisse gesellschaftliche und gemeinschaftliche Aufgaben zentral zu erfüllen und in Vertretung angemessene Rahmenbedingungen und Regeln zu entwerfen, nach denen die Gesellschaft leben soll. Zu diesen Aufgaben gehören z.B.: Rechtssprechung, Soziale Absicherung, Bildung oder der Aufbau und Erhalt verschiedenster öffentlicher Infrastruktur. Die Mittel dafür stellt die Gemeinschaft der in dem Land lebenden Menschen, z.B. in Form von Geld (durch Steuern, Abgaben, etc.) oder Personal (Beamte und „Staatsdiener“) – gewissermaßen könnte man also sagen, sie „bezahlen“ in für verschiedene „Dienstleistungen“. Insofern ist die Analogie zu einem Unternehmen nicht unbedingt falsch.
  • Die „Konkurrenz“: Die Konkurrenz des Staates sind dementsprechend – wie sollte es anders sein? – natürlich alle anderen Staaten dieser Welt. Auch diese erhalten von ihren Bevölkerungen impliziet genau die selben Aufgaben übertragen, nämlich ihr Land und die Rahmenbedingungen ihrer Gesellschaft lebenswert zu gestalten. Je nach dem wie gut der Staat das bewerkstelligt, belohnt oder bestraft ihn (oder seine Repräsentanten) die Bevölkerung dafür, z.B. mit Wahlen und Abstimmungen und in extremeren Fällen auch durch Revolutionen oder der „Abstimmung mit den Füßen“, also der Wahl eines anderen Staates, von dem man sich besseres erhofft.
  • Die Kriterien: Die Kriterien, anhand derer die Staaten nun um die Gunst ihrer Bevölkerungen buhlen, sind vielfältig, einige wurden weiter oben bereits genannt. Ihnen allen gemeinsam ist, dass es Kriterien sind, anhand derer die Bevölkerung oder die Gesellschaft eines Landes ihre Zufriedenheit bemisst und ob die Politik ihres Landes für sie im Großen und Ganzen oder auch in persönlicheren Interessen „funktioniert“. Das können auch – und vielleicht sogar in erster Linie  – immaterielle Kriterien sein.

Wer nun die Äußerungen unserer Politiker zum Thema der „Wettbewerbsfähigkeit“ von Staaten verfolgt hat, dem wird schwerlich entgangen sein, dass dort im Allgemeinen eine andere Definition vorherrscht, eine im negativsten Sinne „verwirtschaftlichte“ und falsche Definition – das bringt uns zur „Ist“-Situation:

  • Die „Konkurrenz“: Hier bleibt zunächst alles beim alten. Die Konkurrenz sind die anderen Staaten. Der grundlegenden Unterschied zur „Soll“-Situation, ist die offenbar grundfalsch gedachte Auffassung davon, um wessen Gunst die Staaten buhlen sollten:
  • Die „Kunden“: Hier nun kommen wir zu des Pudels Kern: Das Bestreben unserer heutigen Politiker ist in einem erschreckenden Ausmaß nicht mehr darauf ausgerichtet, den Staat für die eigene Bevölkerung und Gesellschaft attraktiv zu gestalten – nein, vielmehr sollen Staaten „wettbewerbsfähig“ sein, im Sinne von Unternehmen, die es anzulocken gilt – man könnte (in Analogie zur Wirtschaft) sagen: Sie konzentrieren sich auf die falsche „Zielgruppe“. Die Gründe dafür können vielfältig sein, z.B. kommen die Verlockungen der Unternehmens-Lobbyisten ebenso in Frage, wie die ehrlich gemeinte Sorge um das Wohlergehen der Bevölkerung, die sich mit einem naiven Irrglauben an die Allmacht „der Märkte“ oder der falschen Überzeugung, dass die Interessen „der Wirtschaft“ immer übereinstimmend oder zumindest kooperativ mit denen der Bevölkerung sind, paart.
  • Die Kriterien: Wenn man nun natürlich – aus welchem Grund auch immer – eine falsche Auffassung darüber vertritt, wessen Interessen man verpflichtet ist und um wessen Anerkennung man kämpfen muss, dann ist es nicht verwunderlich, wenn man andere (und im großen Zusammenhang leider falsche) Kriterien dafür ansetzt, wie das zu erreichen ist: Im Gegensatz zu Menschen lassen sich Unternehmen leider nicht ködern mit Dingen wie z.B. funktionierenden Rechtssystemen, fairen Löhnen und starken Gewerkschaften, sozialen Sicherungssystemen, einer intakten Umwelt oder zweckunabhängiger Bildung der Bevölkerung. Und so kommt es, wie es kommen muss:
    • Gesetze zum Verbraucherschutz werden ausgehebelt und andere maßgeschneidert auf die Bedürfnisse von Unternehmen, sich gegen berechtigte Ansprüche von Privatpersonen und Kunden „zur Wehr zu setzen“.
    • Die „Schaffung von Arbeitsplätzen“ wird Staatsraison, auch wenn die Löhne dafür zum Leben der Arbeitnehmer nicht mehr reichen.
    • Soziale Sicherungssysteme werden geschwächt und ausgehebelt, denn die Lohnnebenkosten müssen runter.
    • Der Umweltschutz wird zugunsten niedrigerer Kosten der Unternehmen hinten angestellt.
    • Schulen und andere Bildungseinrichtungen dienen zunehmend nur noch dazu „Fachkräfte“ für den Arbeitsmarkt zu „produzieren“, Erziehung zu kritischem Denken und Allgemeinbildung werden nicht mehr gebraucht.

Und so kommen wir dann auch zur entgültigen Zusammenfassung, warum ich das Wort „wettbewerbsfähig“ nicht mehr hören kann:

Die Staaten müssen sich entscheiden, um wessen Gunst sie im Wettbewerb stehen wollen – die ihrer Bevölkerung oder die der Unternehmen. Und damit entscheiden sie auch, mit welchen Staaten sie im Wettbewerb stehen: Mit modernen, freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaaten, denen etwas am Wohlergehen der Menschen ihres Landes liegt oder mit Staaten, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, in denen Gesetze zugunsten von Unternehmen gemacht und Regierungsvertreter starflos bestochen werden, in denen soziale Ausbeutung und Dumping-Löhne gefördert werden, in denen die Bildung der Bevölkerung als Risiko und die Umwelt nur als ausbeut- und verkaufbare Ressource betrachtet wird.

Meine Meinung: Unser Staat und unsere Politiker haben die falsche Entscheidung getroffen! Der Staat ist kein Unternehmen und er ist nicht für die Unternehmen da!

Die Bevölkerung muss aufstehen und mit klarer Stimme sagen: Der Staat gehört, das sind wir! Der Staat gehört uns!

Machen wir den Politikern wieder klar, wem sie verpflichtet sind!

 

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Regulierung der Wirtschaft

Vorbemerkung: Dieser Artikel ist eigentlich Teil des größeren Artikels Gute Ideen ohne Umsetzer, der wiederum Teil des Artikels Warum Deutschland die Piraten braucht ist. Er kann einzeln gelesen werden, ist im Kontext aber wahrscheinlich besser verständlich.

Regulierung der Wirtschaft

In der heutigen Politik ist eine zunehmende Tendenz zu erkennen, die klassische soziale Marktwirtschaft, die das Ziel verfolgt, den Akteuren auf den freien Märkten sinnvolle Rahmenbedingungen aufzuerlegen, die ihr Handeln zum Wohl der gesamten Gesellschaft hin lenken sollen, auf breiter Front zu untergraben und einer weitgehenden Deregulierung der Wirtschaft zu gunsten großer Unternehmen Vorschub zu leisten.

Das Konzept einer deregulierten Wirtschaft ist aus meiner Sicht schon deshalb nicht funktionsfähig, weil es von den Bedingungen eines idealen Marktes ausgeht, der in der Realität nicht gegeben ist und auch niemals gegeben sein kann: Kriterien für einen idealen Markt sind bspw. ein Punktmarkt, auf dem keine zeitlichen, räumlichen (z.B. Lieferzeiten, Anfahrtswege) oder persönlichen (z.B. sympathisches Gesicht eines Firmengründers, Werbung) Präferenzen herrschen, eine vollkommene Markttransparenz für alle Akteure und die Gleichartigkeit aller gehandelten Güter. Auf einem solchen Markt würden sich alle Akteure „rational“ verhalten und dadurch der größte Nutzen für alle Beteiligten entstehen.

Es ist leicht zu erkennen, wie vieles davon in der Realität nicht zutrifft: Da geht man als Kunde zum Bäcker, der auf dem Weg zur Arbeit liegt (obwohl der drei Straßen weiter das Brötchen vielleicht ein paar Cent billiger hat), da werden Kunden durch Werbung gezielt über Eigenschaften von Produkten belogen oder müssen auf welche hingewiesen werden, von denen sie sonst nichts erfahren hätten (ergo: keine Transparenz) und die verkauften Produkte weisen teilweise erhebliche Unterschiede in Qualität oder Herstellungsverfahren auf.

Auch sind sich die Anhänger der vollkommenen Marktliberalität, die immer wieder darauf pochen, dass sich der Staat doch nach Möglichkeit vollständig aus „der Wirtschaft“ herauszuhalten habe, offenbar in erschreckendem Ausmaß der Tatsache nicht bewusst, was alles wegfallen würde, wenn der Staat der Forderung einer vollkommenen Deregulierung tatsächlich nachkäme:

Beispielsweise garantiert der Staat für die Einhaltung von vertraglichen Vereinbarungen, die man falls nötig auch einklagen kann. Auch garantiert er für grundlegende Rechte, die die Akteure in der Wirtschaft gegeneinander geltend machen können, weil sie eben nicht nur wirtschaftliche Akteure, sondern vor allem Menschen sind. Und er sorgt für wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Bereichen, die für Unternehmen nicht monetär bezifferbar, aber für die Gesamtgesellschaft von unschätzbarer Bedeutung sind (z.B. die Erhaltung der Umwelt oder sozialverträgliche Arbeitsbedingungen).

Dennoch sind insbesondere die Vertreter großer Unternehmen immer bereit, diese Forderungen gegenüber der Politik lautstark zu vertreten – und ihre Forderungen mit finanzstarken „Argumenten“ zu unterstützen. Und unsere Politiker gehen nur allzu oft gern auf diese Angebote ein.

Natürlich, warum sollten sie auch nicht, wenn sie aus ihrem gesamten Umfeld heraus immer wieder bestärkt werden, dass solches Verhalten zum normalen politischen Betrieb gehöre und immerhin hat man es dort doch auch mit Experten zu tun? Die Interessen der Wähler und damit des Volkes, des eigentlichen Souveräns einer jeden Demokratie, geraten dabei natürlich regelmäßig ins Hintertreffen.

Wer solchen Zuständen einen Riegel vorschieben will, wer erreichen will

  • dass der Sozialabbau zugunsten großer Unternehmen (und natürlich auch Banken) aufhört,
  • dass die immer wieder versprochene Regulierung der außer Kontrolle geratenen Märkte und die soziale Marktwirtschaft keine leeren Phrasen bleiben, die nach der Wahl regelmäßig ins Gegenteil verkehrt werden und
  • dass die Stimme des Volkes mehr Gewicht hat als die Einflüsterungen von finanzkräftigen Lobbyisten,

der sollte den Mut haben, eine Partei zu wählen, die sich ausdrücklich die Ziele von Bürgerbeteiligung, Transparenz, sozialer Teilhabe und Lobbyismus-Abstinenz auf die Fahnen geschrieben und sich an diesen Idealen messen lassen will! (Und mal ganz ehrlich – schlimmer kann es in der Hinsicht kaum werden, oder? ;-))

Hier noch ein nettes kleines Infotainment-Video zum Thema Lobbyismus:


von alexanderlehmann (http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/extra_3/videos/extra2643.html) [CC-BY-NC-ND-3.0-de], via Vimeo.com (für vollständige Angabe der Beteiligten siehe Ende des Videos)

 
 

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